In der Welt der Didaktikbücher und Pädagogikvorlesungen würde ich als Lehrerin eine Gruppe Kinder oder Jugendlicher unterrichten, die hochmotiviert sind und immer gefordert werden wollen. Solche Schüler gibt es, keine Frage. Aber sie sind bei weitem nicht so häufig, wie es in Büchern den Anschein hat – und selbst grundsätzlich motivierte Schüler haben mal einen schlechten Tag oder mögen ein Fach nicht. Eine der großen Aufgaben eines jeden Lehrers ist es deshalb, Schüler zu motivieren. Die Möglichkeiten hier sind ebenso vielfältig wie die Schüler selbst. Eine interessante und schülerorientierte Gestaltung des Unterrichts ist dabei die absolute Grundlage. Theoretisch erkennen das auch Laien („Hast du schon mal probiert, deinen Unterricht so zu planen, dass er Spaß macht?“), aber es ist um vieles schwieriger umzusetzen, als man es sich als Student in seinen kühnsten Träumen vorstellen könnte. Denn ich muss nicht nur den vorgegebenen Stoff inklusive möglicherweise fehlender Grundlagen vermitteln, sondern gleichzeitig diverse Kompetenzen schulen, auf die Verschiedenheit der Schüler eingehen, Konflikte innerhalb der Lerngruppen schlichten helfen, erzieherisch einwirken sowie mit den Tücken der Schulgebäude und der Technik umgehen. (Wenn einem nach diesem Schlangensatz der Kopf schwirrt, versteht man die Problematik vielleicht ein wenig besser.)

Erfolgreiches Lernen ist nur dann möglich, wenn der Lehrer in der Lage ist, den Schülern einen sicheren Raum zu bieten, in dem sie konzentriert entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten lernen können: Wenn es zu laut ist, muss ich Ruhe schaffen. Funktioniert die Heizung nicht korrekt, rufe ich kurz den Hausmeister an. Doch häufig stehen sich die Schüler auch selbst im Weg, beispielsweise durch die folgenden Verhaltensweisen:

  • Zu Beginn des Unterrichts liegen die Materialien noch nicht auf dem Tisch. Brauchen wir dann in der Stunde beispielsweise das Schulbuch, wird noch hektisch in den Taschen gewühlt.
  • Die Sozialformen werden nicht eingehalten. Wenn ich beispielsweise eine Unterrichtsphase mit Einzelarbeit plane, geht es mir oft darum, dass die Schüler möglichst eigenständig üben, ohne dabei ständig den Nachbarn oder mich um Hilfe zu bitten. Je selbstständiger sie dies schaffen, indem sie im Buch nachsehen, sich Probleme für eine spätere Nachfrage notieren oder in manchen Stunden mit Hilfe ihres Smartphones online recherchieren, umso besser werden sie darin, Probleme zu lösen.
  • Schüler stören sich gegenseitig beim Lernen, sei es durch zu laute Privatgespräche oder durch das Kommentieren von Fehlern.

Im persönlichen Gespräch ist jedem Schüler klar, dass er damit sich selbst und anderen im Weg steht, und dass es insbesondere den Mitschülern gegenüber unfair ist, ihnen Lernmöglichkeiten zu verwehren. In der Unterrichtssituation selbst ist dann aber der Handlungsimpuls zu groß, als dass man sich beherrschen könnte.

Eine Lösung, die ich aktuell in einer meiner jüngeren Lerngruppen teste, ist ein Tokensystem. Hierzu sucht man sich eine gewünschte Verhaltensweise heraus, und belohnt diese. Die Idee dahinter ist, dass durch die Belohnung und vielleicht das Spielerische an der Situation die Motivation steigt, die gewünschte Verhaltensweise zu zeigen. Und wie bei vielen Techniken zur Veränderung von Gewohnheiten braucht es dann irgendwann die Belohnung nicht mehr.

In diesem Fall habe ich Lose gemacht, die mit Preisen verbunden sind. Einige Lose enthalten die freie Wahl aus meinem „Schatzglas“, einige enthalten Gutscheine (falls man mal seine Materialien oder seine Aufgaben vergessen hat), andere einige Minuten freie Spielzeit. Es gibt noch viele weitere Ideen,  aber für den Anfang schienen mir drei Preise ausreichend. Die Lose habe ich auf farbigem Papier ausgedruckt, laminiert und mit holografischem Washi-Tape beklebt. Dazu gibt es ein Blatt, auf dem die Schüler Unterschriften von mir sammeln können. Auch dieses Blatt habe ich farbig ausgedruckt, sodass es in den Schülermappen nicht verloren geht.

Der Rest ist ein wenig Showtalent beim Einführen dieser Idee, denn wenn man dabei Spannung aufbaut, werden die Schüler sehr interessiert. Ich habe beispielsweise demonstrativ meine Schultasche auf das Pult gestellt und zirkusdirektorenhaft erklärt, dass ich etwas ganz Besonderes in meiner Tasche habe. Die Schüler durften raten und irgendwann zog ich das Schatzglas ganz, ganz langsam aus der Tasche. Einige Schüler konnten es sich ansehen, einige wollten auch dran riechen und durften auch das. Und dann kommt die Gebrauchtwagenhändler-Pose: „Um diesen sagenhaften Schatz zu bekommen, müsst ihr nicht die Fenster putzen, ihr müsst nicht alle Einsen schreiben, nein, ihr müsst nicht einmal alle gleichzeitig die Aufgaben haben! Nein, ihr müsst nur Lose sammeln!“ Ihr versteht, worauf ich hinaus will…

Damit das Tokensystem gut funktionieren kann, sind folgende Punkte unbedingt wichtig:

  • Die Verhaltensweise muss begrenzt und klar überprüfbar sein. „Ich habe zu Beginn der Stunde sämtliche Unterrichtsmaterialien für das Fach auf dem Tisch. Das sind […]“ funktioniert gut, „Ich organisiere mich besser“ klappt nicht.
  • Die Verhaltensweise muss positiv formuliert sein, also „Ich habe zu Beginn der Stunde meine Materialien auf dem Tisch“ statt „Ich vergesse meine Materialien nicht“.
  • Das Tokensystem muss konsequent durchgeführt werden. Wenn ich es einführe und die Schüler mitmachen, kann ich es nicht drei Wochen später abbrechen, weil ich keine Lust mehr habe oder mich die Klasse anderweitig irgendwie nervt.
  • Die Materialien und Preise müssen liebevoll gestaltet sein, damit die Schüler Lust haben, mitzumachen.
  • Das Tokensystem muss zu Beginn genau erklärt werden, damit die Schüler genau wissen, was ich von ihnen erwarte.
  • Token dürfen nicht als Strafe weggenommen werden. Es geht bei dem System um eine ganz klar begrenzte Verhaltensweise und nicht um eine Art, Schüler irgendwie zu bestrafen.

In der Klasse, mit der ich das mache, klappt das sehr gut. Die Schüler haben großen Spaß daran und fordern es sogar ein, wenn ich es einmal vergesse.

Die Schriftarten für das gesamte Tokensystem sind übrigens Open Sans und Chewy.